HOLUNDER IN MYTHOS UND LEGENDE

Vor einiger Zeit habe ich einen kurzen Blick auf die bemerkenswerten volksmedizinischen Anwendungen des bescheidenen Holunders geworfen. Obwohl ich Themen wie Erkältungen und Grippe, Anämie und Menstruationsstörungen gestreift habe, habe ich dabei nur an der Oberfläche der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten dieser Pflanze gekratzt – und ihre Bedeutung in Mythos und Folklore völlig außer Acht gelassen. Lassen Sie uns also auf eine kleine Reise durch den sagenhaften Wald rund um diese bemerkenswerte Pflanze begeben.

Feen und Märchen

Vieles von dem Wissen über den Holunder ist mystisch und mit der Feenwelt verbunden. In Westeuropa gilt der Holunderbaum als Tor zur Unterwelt der Feen und wird oft direkt mit der Königin oder dem König dieses Reiches in Verbindung gebracht. Kindern wird eindringlich davor gewarnt, unter einem Holunderbaum einzuschlafen – andernfalls könnten sie in das Feenreich entführt werden, vielleicht für immer.


Der Holunderbaum geistert auch durch die Märchen von Hans Christian Andersen. In einer Geschichte mit dem Titel Die kleine Holunder-Mutter, die vom Kräuterkundler Matthew Wood überliefert wird, dient der Holunder als Symbol für poetische Genialität und als Quelle von Märchen:

"Ein kleiner Junge, der den ganzen Tag in Pfützen herumgespritzt hat, bekommt von seiner Mutter eine Tasse Holundertee und wird ins Bett geschickt. Der alte Mann, der im oberen Stockwerk wohnt, kommt vorbei und wird gebeten, eine Geschichte zu erzählen. Es ist unklar, ob er eine Geschichte erzählt oder ob der Junge in einen leichten Traum fällt. Die kleine Holunder-Mutter nimmt ihn mit auf eine Reise in ferne Länder des Südens. Als die Geschichte zu Ende ist oder der Junge erwacht, bemerkt er, dass es in den südlichen Regionen heiß ist. Seine Mutter, die den Schweiß auf seiner Haut sieht, stimmt zu, dass er in warmen Ländern gewesen sein muss, und ist zufrieden, dass ihr Kräutertee gewirkt hat."

Die zornige Holunder Mutter

Die kleine Holunder-Mutter ist jedoch nicht so freundlich, wie ihr Name vermuten lässt. Nordeuropäische Legenden erzählen von der Hylde-Moer, auch bekannt als Lady Ellhorn oder die Elder Mother. Diese weibliche Wesenheit verlangte eine Opfergabe – bei Strafe schwerer Konsequenzen bis hin zum Tod –, wenn jemand ihren Baum ernten wollte. Diese Mutter verstand keinen Spaß.
Wenn Mythos auf MEdizin trifft

Manchmal spiegeln sich die medizinischen Anwendungen des Holunders in seiner mythologischen Bedeutung wider. Der Name Holunder stammt aus dem Altenglischen aeld oder Feuer, angeblich weil die hohlen Stängel der Pflanze als Blasrohre zum Entfachen von Feuer oder als Rauchrohre verwendet wurden.

Hier könnte eine Parallele zur medizinischen Signatur der Pflanze bestehen: Holunder öffnet die „Kanäle des Körpers“ – fördert das Schwitzen, die Urinausscheidung und reguliert den Menstruationszyklus. Die Verbindung zum Wort Feuer könnte somit auch auf seine fiebersenkenden Eigenschaften hinweisen.

Auf einer etwas anderen Ebene gibt es schamanische Traditionen, die Pflanzen mit hohlen Stängeln – wie Engelwurz oder Holunder – mit der Reise in die Unterwelt assoziieren.


Die Lehren des Holunders

Und so endet unser kleiner Streifzug durch das dichte Dickicht der Holunder-Mythen, und wir treten wieder ins Sonnenlicht eines blühenden Gartens. Hier spielt der Holunder erneut eine zentrale Rolle – diesmal als Gartenlehrer. Er soll die Pflanzen um ihn herum anleiten und ihnen helfen, kräftig zu wachsen und eine gesunde Gemeinschaft zu bilden. Selbst sein etwas unangenehmer Geruch dient einem Zweck – Shakespeares „stinkender Holunder“ hilft dabei, unerwünschte Insekten fernzuhalten.

Mutter und Lehrerin, Öffnerin der Kanäle und Begleiterin der Feen – der Holunder ist weit mehr als nur eine einfache Pflanze.



Adam Newbould-Smith

Herbalist & Naturopath